"Meine Mutter schneidet mir immer das Wort ab und weiss alles besser."
"Was soll ich tun, um nicht dauernd von der Mutter - und mit deren Einfluss die Geschwister (sie hat sehr grossen Einfluss auf sie) - als unfähig in a l l e n Dingen taxiert zu werden. Sie behauptet seit eh und je ich könne mich nicht richtig ernähren, und das erzählt sie auch allen Verwandten, obwohl ich mehr als zwei Jahre hochalpinen Skisport betrieben habe. Sie will nie zuhören, bzw. sie hat mir seit 20 Jahren nicht mehr zugehört, wenn ich von meinem Studium erzählen wollte, wenn ich von meinen Backpacker-Reisen in Asien oder von meiner zivilen Hochzeit erzählen wollte. Sie schnitt mir immer und immer wieder das Wort ab. Das Gespräch - wenn man das überhaupt so nennen kann - verläuft immer so, als wenn sie schon alles wüsste, wie es dort aussieht, usw. Und vor allem, dass ich gar nichts mehr zu erzählen hätte. Daher erzähle ich ihr nicht mehr, was ich wirklich mache." Louise, 37
Liebe Louise
Aus Ihrem Brief entnehme ich, dass Ihnen Ihre Mutter nicht zuhört, wenn Sie etwas erzählen. Das enttäuscht Sie und macht Sie wütend. Auch als Erwachsene bleiben wir die Kinder unserer Eltern, und es ist eine Sehnsucht von uns allen, von ihnen geliebt und anerkannt zu werden. Und hier ist der springende Punkt. Wenn Ihnen Ihre Mutter nicht zuhört, heisst das nicht zwingend, dass sie Sie nicht liebt oder gar als unfähig taxiert! In der Regel sind die Kinder das Wichtigste im Leben von den Eltern, und das bleiben Sie ein Leben lang. Ich vermute, Sie sind das ‚Sorgenkind’ Ihrer Mutter und um keines der Geschwister macht sie sich so viele Gedanken wie um Sie. Ihre Mutter hört Ihnen aber möglicherweise nicht zu, weil sie nicht einverstanden ist, wie Sie ihr Leben gestalten. Sie findet vielleicht, Sie hätten etwas anderes studieren oder einen anderen Mann heiraten sollen. Oder sie denkt, dass Sie sich einen vernünftigen Job suchen und ihr Geld sparen sollen, anstatt mit dem Rucksack durch die Urwälder zu trampen. Sie wollten ihr Leben nach Ihren eigenen Vorstellungen leben. Das ist ja okay, aber Sie haben vielleicht den Fehler gemacht, ihre Mutter von Ihren Ansichten überzeugen zu wollen. So ein Machtkampf kann nicht gut gehen. Dass Sie nun aufgehört haben, ihrer Mutter alles zu erzählen und bei ihr um Anerkennung zu ringen, finde ich ein sehr guter Anfang. Der nächste Schritt wäre es, Ihren Groll auf die Mutter aufzugeben und damit wirklich ‚erwachsen’ zu werden.
© Text: Dr. Hefti , Foto: Wix
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